Salafismus und "Schule ohne Rassismus, aber mit Courage"

Referenten im Vorgespräch mit Fachschaft und Schulleitung

"Denken ist anstrengend, Bilder zu übernehmen hingegen einfach", mahnt Samir Öner [Name geänd.] vom Violence Prevention Network e.V. aus Frankfurt am Main. Schon Kant hatte erkannt, dass es die Aufklärung ist, die uns Menschen den Ausgang aus unserer selbst verschuldeten Unmündigkeit bietet.

Kann es also so einfach sein, dem Salafismus zu begegnen? Die Schule klärt auf und dann gibt es keinen Salafismus mehr?

Nein, sicher nicht. Aber die Schulleitung und die Fachschaft für Politik und Wirtschaft an der Rudolf-Koch-Schule in Offenbach sind sich einig, dass die Diskussion um den Umgang mit dieser extremistisch motivierten Strömung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, für die die Schule Raum schaffen muss. Daher stand der diesjährige SoR-Tag am 24. Juni 2015 (Schule ohne Rassismus) ganz im Zeichen von Salafismus, Extremismus und Demokratie.

In den Schritten "erfahren, ertragen und hinterfragen" haben sich die SchülerInnen der Q2 (ein Jahr vor dem Abitur) mit dem Phänomen Salafismus auseinandergesetzt. Zunächst erarbeiteten sie mit Experten in vier Workshops die gesellschaftlichen Gründe für das Entstehen dieser extremistischen Strömung, lernten die Begründungsstrategien der Salafisten im Hinblick auf die Auslegung des Korans kennen und analysierten die Rhetorik bekannter Salafisten-Prediger.

Für die Schülerschaft, die zu zwei Dritteln aus Jugendlichen muslimischen Glaubens besteht, waren viele der Informationen neu.

Die Experten sehen den Grund für zwei Hauptprobleme hierin: mangelndes Grundverständnis des Islam und mangelndes argumentatives Rüstzeug in Bezug auf ein laizistisches demokratisches Weltbild. "Wir nehmen unsere demokratischen Werte als zu selbstverständlich hin und sind uns der Vorteile unserer Demokratie gar nicht mehr bewusst", meint Danijel Majic, der Experte für Rechtsextremismus und Ausländerextremismus von der Frankfurter Rundschau. In seinem Workshop wurde deutlich, wie in Salafisten-Predigten rhetorisch geschickt eine Dichotomie zwischen der Demokratie und dem Salafismus erzeugt wird, die falsch, aber wirksam ist. "Denn die Jugendlichen kommen gegen diese perfekte Argumentationslinie nicht an, weil sie argumentativ besser geschult sein müssten", fordert Majic.
Öner geht weiter: "Wenn es zu Gesprächen mit Salafisten kommt, dann hat es keinen Sinn, sich auf eine Diskussion einzulassen. Ihre Auslegung des Koran basiert auf teilweise falschen und sehr starren Übersetzungen und wird, aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissen, als Rechtfertigung für Gewalt genutzt. Die Jugendlichen wissen zu wenig vom Koran, um diese falschen Informationen widerlegen zu können." Das zeigt sich auch in den Zahlen. Von den über die Gratisverteilung von Koranausgaben, die sogenannten "Lies mich" Aktionen, rekrutierten Salafisten sind 40 Prozent nach Syrien in den Kampf für den IS gegangen. Öner schlägt daher vor, diese Menschen eher nach den Gründen für deren Ausstieg aus der Gesellschaft zu fragen bzw. deren bisheriges Leben zu hinterfragen und sich auf keine Diskussion einzulassen. Aber nicht nur Koranverteilungen sind Mittel zum Zweck. Die Gemeinschaft "Wacht auf Muslime" versucht SchülerInnen direkt auf Schulhöfen zu rekrutieren. Diese Dawa-Gruppe ist bereits in einer Offenbacher Schule aufgefallen. "Sie suchen sich muslimisch aussehende Jugendliche aus, die labil wirken und sprechen sie an. Dann geht die Gehirnwäsche los", klärt Majic auf. Er spricht damit den dritten Hauptpunkt für den Erfolg der Salafisten an: die gesellschaftliche Benachteiligung der muslimischen Bevölkerung, die statistisch belegt ist. Mehmet enel, Projektkoordinator des Landesprojektes "Hessische Muslime für Demokratie und Vielfalt!", nennt diese Tatsache "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit". Die Lösung kann für keinen der Experten sein, sich der deutschen Gesellschaft unterzuordnen. "Deutschland muss es aushalten, dass auch über die Prämissen der Gesellschaft diskutiert wird. Integration darf nicht Assimilierung bedeuten", meint Majic. Allerdings darf das auch nicht bedeuten, dass seitens der Muslime eine Gesamtrechnung hinsichtlich der Mitwirkung beim Aufbau des Landes erstellt wird, aus der sich Rechte ableiten lassen. "Wir sind nach dem Grundgesetz alle gleich, wir brauchen kein konfrontatives Wir!", betont Hanif Aroji, Vorsitzender der Islamischen Hochschulgemeinde an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Solange sich an dieser gesellschaftlichen Realität nichts ändert, werden die Salafisten aus dieser Tatsache Kapital schlagen. Die Opferrolle, in die sich viele Muslime begeben, findet in der von Majic so bezeichneten "Großen Opfererzählung" Nahrung. enel appelliert an die Muslime, sich zu organisieren, um ihr Recht auf Teilhabe einzufordern. Mit einem steigenden gesellschaftlichen Status steige auch das Selbstbewusstsein. Das wirke der Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher entgegen.

In der angeregten Plenumsdiskussion, die anschließend an die Workshops stattfand, wollten die SchülerInnen abschließend wissen, worin die Referenten deren Pflicht als Muslime in der Gesellschaft sehen. Insgesamt forderten die Experten einen kritischen und wachsamen Verstand und einen differenzierten Umgang mit Themen. Aroji betonte insbesondere eine fundierte Urteilsbildung. Majic hat keinen speziellen Anspruch an die Gruppe der muslimischen Jugendlichen. Er wünsche sich einfach nur Mitmenschlichkeit und Solidarität. enel erhofft sich positive Schlagzeilen durch viele positive Aktionen der muslimischen Jugendlichen.

Ein Schüler brachte am Ende der Diskussion, die souverän und einfühlsam von den Lehrern Heiner Piepho und Margitta Neeb-Steckelberg geleitet wurde, auf den Punkt, was viele der SchülerInnen aus der Q2 dachten: "Wir müssen den Salafisten jeden wegnehmen, der ein Öpferchen ist!" Diese Energie wird die Rudolf-Koch-Schule nutzen, um weiter in offenen Diskussionen und in neuen Projekten eine positiv aktive Rolle der SchülerInnen in der Gesellschaft zu stärken.

Es arbeiteten und diskutierten mit den SchülerInnen aus der Q2:
Mehmet enel
Mehmet enel ist Projektkoordinator des Landesprojektes Hessische Muslime für Demokratie und Vielfalt!  

Samir Öner [Name geänd.]
Samir Öner ist im Violence Prevention Network (VPN) für Training, Fortbildungen und Beratung verantwortlich. Das Violence Prevention Network (VPN) ist der Trägerverein der Hessischen Beratungsstelle in Frankfurt, die junge, ideologisch gefährdete Menschen und extremistisch motivierte Gewalttäter zum Umdenken bewegen will. Mit einem Team, in dem auch muslimische Frauen sind, ist das VPN rund um die Uhr für Gespräche und Treffen erreichbar.  

Danijel Majic
Danijel Majic ist Redakteur der Frankfurter Rundschau. Er arbeitet in den Redaktionen in Offenbach und Frankfurt. Seine Schwerpunktthemen sind Ausländer- und Rechtsextremismus.  

Hanif Aroji
Hanif Aroji ist Diplom-Politologe. Er arbeitet seit neun Jahren im Boxclub Nordend Offenbach als Nachhilfelehrer. Darüber hinaus ist er seit drei Jahren Vorsitzender der Islamischen Hochschulgemeinde an der Goethe-Universität in Frankfurt; hier studiert er im Institut für Islamische Studien. Zudem ist er Mitglied der Grünen und engagiert sich besonders in Integrationsfragen und in der Jugendarbeit.


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